Das
Pro & Contra von Nisthilfen wurde bereits grundsätzlich diskutiert und gilt im Prinzip auch für große Wildbienenstände (Nistwände, Insektenhäuser):
- Die meisten Bienenstände weisen konstruktive Mängel auf, werden nach dem Enthusiasmus der ersten Monate nicht mehr gepflegt und irgendwann als unansehnliche, baufällige Ruine entsorgt, und auch mängelfreie Nistwände fördern nur jene wenigen Prozent unserer Wildbienen, die natürlicherweise in Totholz und Felsspalten nisten.
- Andererseits können richtig konstruierte Bienenstände jene oberirdischen Neststrukturen ersetzen, die durch die menschliche Nutzung ehemaliger Habitate verlorengingen, und in ihrer pädagogischen Funktion bieten sie Einblicke in die Lebens- und Fortpflanzungsweise der Solitärbienen und -wespen, wie sie kein Naturführer vermitteln kann.
Man darf sich allerdings fragen, warum es statt einiger kleiner platzsparender und preiswerter Nistziegel oder Nisthölzer für Mauerbienen, Lehmwespen etc. unbedingt ein großer Bienenstand sein muß, der deutlich über das Ziel hinausschießt, einen möglichen lokalen Mangel natürlicher Niststrukturen auszugleichen, und viel Platz, Material, Zeit und Geld erfordert. Außer ihrer Artenschutz- und pädagogischen Funktion setzt ein Bienenstand bzw. Insektennisthaus offenbar noch ein weiteres, drittes Motiv voraus; aber welches?
Blickt man auf menschliche Siedlungen, also unsere Städte und Dörfer, so fällt schon aus einiger Entfernung auf, daß der höchste Bau eines Dorfes traditionell seine Kirche ist, und die höchsten, ihre Skyline bestimmenden Gebäude einer Großstadt sind die Wolkenkratzer großer, mächtiger Konzerne, die sich die renommiertesten Architekten und unkonventionellsten, aufsehenerregendsten Architekturen leisten konnten. Die Größe und Form solcher Bauten ist keineswegs nur dem jeweiligen Raumbedarf geschuldet; man wollte und will sich selbst und der Welt auch Bedeutung, Macht, Relevanz demonstrieren.
Mit großen Wildbienenständen bzw. Insektennistwänden ist es durchaus ähnlich: Zwar findet man einige solcher Konstruktionen auch in Privatgärten, deren Besitzer sich selbst wie ihren Verwandten und Bekannten handwerkliches Geschick und Sinn für Ästhetik beweisen möchten; die meisten großen Nistwände aber stehen gut sichtbar auf kommunalen Flächen (KITAs, Parks und Botanischen Gärten, Freilichtmuseen, Friedhöfen, Naturschutzgebieten) und Grundstücken von Naturschutzverbänden. Schauen wir uns einmal zwei solcher Konstruktionen an:
1. "Insektennistwand" ("Bienenhotel")
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Dekorativer Bienenstand in einem Kurort – aber weder effektiver Artenschutz noch sinnvolle Pädagogik |
Dieses mit handwerklichem Geschick erstellte und gegen Regen geschützte Wildbienenhaus steht in einem Kurort unweit eines Weges, der entlang eines naturnah gestalteten Flüßchen verläuft. Als dekorativer "Eyecatcher" trägt die Konstruktion zur Atmosphäre des Ortes bei und könnte Wegbeschreibungen und Verabredungen auch als "Landmarke" dienen ("Wir treffen uns am Bienenhotel"). Ein genauer Blick auf das Objekt offenbart allerdings die Probleme:
- Ein Insektennisthaus dieser Größe produziert ein Problem, das nach der Erstellung des Rohbaus erst beginnt: Das noch leere Haus muß Brett für Brett mit Nisthilfen gefüllt werden, deren Bau sehr viel Zeit erfordern würde und deshalb oft eingespart wird zugunsten billigen, untauglichen Materials wie Koniferen-Zapfen und handelsüblicher Hohlziegel. Über die Hälfte der abgebildeten Wandfläche kann von Totholznistern gar nicht genutzt werden: Die auf die Regalbretter gestellten 13 Lochziegel sind als Niststrukturen völlig ungeeignet, brauchbar wären sie nur als Stengelhalter, also mit hohlen Stengeln in ihren Löchern. Die vielen Koniferen-Zapfen in der untersten Etage können von Solitärbienen und -wespen ebenfalls nicht genutzt werden, sie könnten allenfalls Spinnen, Ohrwürmern etc. als Wohnquartiere oder Tagesverstecke dienen, die aber auch überall sonst in der Umgebung zu finden sind.
Dabei könnte das Insektenhaus den ihm zugedachten Zweck zumindest teilweise erfüllen, wenn man in die unteren zwei Etagen sechs mit Lehm gefüllte Kästen gestellt hätte: Das würde jenen bodennistenden Solitärbienen und -wespen Nistfläche bieten, die ihre Nistgänge auch oder nur in Steilwände graben.
- Die Löcher in den Stamm- und Aststücken wurden nicht in deren Seiten, sondern ausnahmslos in die Schnittflächen (ins "Hirnholz" bzw. "Stirnholz") gebohrt, welches zur Rißbildung neigt. Viele Stengel sind nicht nutzbar, weil ihre Mündungen teils verschlossen, teils durch Späne unpassierbar sind. Diese große Nistwand bietet somit nur wenige Nistlöcher.
- Für das Motiv, diese Nistwand zu errichten, bedeutet das: Da ihr Betreiber überwiegend von Solitärbienen und -wespen nicht nutzbare Module integriert und auch nicht ausgetauscht hat, als ihre mangelnde Eignung offenbar wurde, kann Artenschutz bzw. die Förderung der Biodiversität das Motiv nicht gewesen sein. Die offenkundig mangelnde Eignung spricht auch gegen ein pädagogisches Motiv; wenn der Betrachter der Nistwand überhaupt etwas lernt, dann allenfalls, wie man es nicht machen sollte.
- Das ausschlaggebende Motiv ist offensichtlich der beabsichtigte Show-Effekt, das Image, das Zurschaustellen eines moralischen Wertes: Hier hat man (angeblich) "die Zeichen der Zeit" verstanden, hier wird etwas unternommen gegen das Artensterben im allgemein und das Bienensterben im besonderen. Schade nur, daß das nicht stimmt ...
2. "Insektennistwand" ("Bienenhotel")
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Vermeintliche Wildbienenwand eines Imkervereins: Zurschaustellung völliger Inkompetenz |
Ein Beispiel dafür, wie weit zur Schau gestellter Anspruch und traurige Wirklichkeit auseinanderklaffen können, ist diese Konstruktion eines Imkervereins: Sie wurde neben Schau-Beuten und Infotafeln zur Biologie, Haltung und Zucht von Honigbienen errichtet und soll wohl deren "wilde Verwandtschaft" vorführen und Verantwortung der Imkerschaft für die Biodiversität demonstrieren. Seit die massenhafte Haltung der domestizierten Honigbiene als potentiell schädlich für Wildbienen in der Kritik steht, finden letztere zunehmend in Broschüren und auf Internet-Seiten von Imkern Erwähnung mit der (impliziten oder expliziten) Botschaft: "Auch wir kennen, schätzen und schützen unsere Wildbienen!"
Tatsächlich aber beschränken sich imkerliche Kenntnisse in der Regel auf die Haltung, Pflege und Zucht von Honigbienen und die Gewinnung ihres Honigs; über die Biologie und Artenvielfalt der Wildbienen und anderer Insekten wissen sie meisten Imker nicht mehr als Hühnerbarone über Rebhühner und Wachteln. Die abgebildete (vermeintliche) Nistwand zeigt eine sechseckige Wabenstruktur, die man indes bei Wildbienen nicht findet, und die Füllungen der Waben können von keiner einzigen Wildbienenart genutzt werden; bis auf die wenigen Pappröhrchen am linken und rechten Innenrand ist diese Werbefläche – nichts anders ist sie – also völlig unbrauchbar. Das Kalkül ihrer Erbauer könnte dennoch im Einzelfall aufgehen: Laien, die Honigbienenhaltern große Sachkunde zubilligen, könnten versucht sein, solche auch in Bezug auf andere, wildlebende Bienen anzunehmen ...
Fazit: Sinn & Unsinn
- Ein großes Insektennisthaus mit Dutzenden von integrierten Nisthilfen trägt nicht mehr zum Artenschutz bei als ein paar einzelne Nistziegel oder gelochte Totholzblöcke – auch dann nicht, wenn alle Nisthilfen in der Nistwand brauchbar sind. Eine große Anzahl und Dichte von Nistmöglichkeiten begünstigt sogar – übrigens wie jede Monokultur oder Massentierhaltung – ein Ungleichgewicht zwischen Wirten und Parasiten. Letztere sind, wie der aufmerksame Leser dieser Seiten weiß, keine "bösen Fremdorganismen", die es auszurotten gilt: Neben vielen Fliegen und Wespen, die sich parasitisch fortpflanzen, gehört auch ca. ein Viertel unserer Bienenarten zu den Schmarotzern und wird als "Kuckucksbienen" bezeichnet.
- Auch der pädagogische Nutzen einer Nistwand steigt nicht mit ihrer Größe und der Anzahl der integrierten Nisthilfen: Interessant und lehrreich sind das Aussehen einzelner Solitärbienen und -wespen, der Transport des Nistmaterials, die Verproviantierung der Brutzellen, das Verschließen des Nestes ... nicht eine möglichst große Individuenzahl.
- Der eigentliche Zweck eines großen Insektennisthauses, den man ehrlicherweise zugeben sollte, ist – im übertragenen Sinne – ein "Leuchtturm", der die Blicke auf sich zieht, ein positives Image seiner Erbauer generiert, Interesse weckt an der Natur und ihrem Schutz ... und vielleicht sogar an einer Vereinsmitgliedschaft. Das all ist keineswegs verwerflich, wenn die Nistwand mit all ihren Komponenten nach dem Vorbild der Natur gestaltet wurde, sich also an der Biologie der Solitärbienen und -wespen orientiert, und nach Bedarf gewartet wird. Dann darf sie auch anderen Menschen ein Vorbild sein ...
- Eines allerdings darf sie dabei nicht sein: ein Vorbild für Greenwashing: Wer sich als Naturschützer zur Schau stellt, sollte auch einer sein. Ein großes, chic gestaltetes Bienenhaus in mitten einer perfekt gepflegten Rasenfläche mag dem Betrachter z. B. ein Bild zeitgemäßer, naturverbundener Landschaftsarchitektur vermitteln; dieser (gewünschte) Eindruck täuscht aber darüber hinweg, daß nur wenige Prozent unserer Bienenarten von einer solchen Nistwand profitieren: Etwa drei Viertel, darunter viele gefährdete Arten, nisten bekanntlich nicht in Totholz (abgestorbenen Ästen und Stengeln), sondern im Erdboden. Ehrlich ist ein Bekenntnis zum Artenschutz also erst dann, wenn man auch Rasenflächen, Beete und Wege "opfert" zugunsten einer Vielfalt heimischer Blütenpflanzen und geeigneter Nistflächen.
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Wildbienenhaus auf einem Stadtwerke-Gelände: eine solide Konstruktion mit Niststrukturen für Totholz-Besiedler wie für Steilwandbewohner. Die beiden grauen Blöcke unten links und rechts erfüllen ihren Zweck nur als Trägermaterial für jeweils gut 50 imprägnierte Pappröhrchen und waren eigentlich eine Notlösung, da diese große, repräsentative Nistwand wie viele andere mehr Stellraum bietet als Nisthilfen vorhanden waren. Die beiden vorderen Pfeiler mit ihren je fünf Halterungen dienen der Montage eines Rahmens mit Drahtbespannung: Ein Buntspecht hatte auf die einzige Schwachstelle der Nistwand aufmerksam gemacht ... |
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